Sonntag, 18. März 2018

Die Geschichte der Tschechen

Vor etwa 40 000 Jahren kamen Steinzeitmenschen von Afrika nach Europa und Asien. Alle Tschechen sind also ursprünglich Afrikaner. Na, hoffentlich erfährt Tomio Okamura nichts davon...

Von den ersten Bewohnern Tschechiens weiß vor allem, wie sie ihre Leute beerdigt haben: In Urnenfeldern und später Hügelgräbern (4000 - 5000 v. Chr.).
Etwa 400 v. Chr. wanderten Kelten in Tschechien ein, genau genommen die Boier (lateinisch Boiohaemum). Daher kommt der Name Böhmen.


Im 6. Jahrhundert kamen die Slawen aus dem Osten, vom Fluss Dnepr (heute Ukraine). Von ihnen stammen die meisten Tschechen ab, und die slawische Sprachfamilie brachten sie auch noch mit. Der Sage stieg der Urvater Čech auf den Berg Říp, blickte hinab auf Tschechien und sprach: Jo Leute, lass mal da unten wohnen.
(Die Autobahn daneben wurde erst später erbaut.)


Das heutige Tschechien besteht aus drei historischen Königreichen: Böhmen, Mähren (Morava) und Schlesien (Slezsko). Böhmen und Mähren sind komplett drin, von Schlesien nur ein kleiner südlicher Streifen. Der Rest Schlesiens gehört zu Polen.
Auf Tschechisch ist böhmisch und tschechisch bzw. Böhmen und Tschechien dasselbe Wort (česky bzw. Česko).


Die tschechische Geschichte besteht in erster Linie aus Eroberungen und Fensterstürzen. Ständig wurde Tschechien von irgendwem erobert und gehörte dann zu irgendeinem größeren Reich.

Zuerst war da im 7. Jahrhundert das Samo-Reich. Dieser Samo war ein fränkischer Kaufmann, der über Teile von Mittel- und Osteuropa herrschte. Das Zentrum des Reiches war Mähren. Besonders viel weiß man nicht über diese Zeit. Aber es war der erste richtige Staat auf tschechischem Gebiet. Vorher waren da bloß irgendwelche Stämme.

Als nächstes wurde Tschechien von Karl dem Großen erobert und gehörte zu Beginn des 9. Jahrhunderts zum Frankenreich. Die tschechischen Slawen waren ursprünglich orthodox, aber durch Karl wurden sie katholisch.

Ende des 9. Jahrhunderts gab es für einige Zeit das Mährerreich in Mähren und der heutigen Slowakei. Dieses Reich hatten die Slawen selbst auf die Beine gestellt. Es umfasste aber noch nicht das ganze Tschechien. Aber gleich danach gab es dann endlich den ersten richtigen tschechischen Staat.

Dazu gibt es auch eine Legende. Die Leute baten die Wahrsagerin Libuše um Hilfe, was man gegen die anarchischen Zustände im Land tun könnte. Die Wahrsagerin begann, sehr große Töne zu spucken: Sucht mir einen Mann, der mir hierhin eine Türschwelle (prah) baut. Dann machen wir daraus eine Burg und eine Stadt und ein Königreich auch noch. Die Berühmtheit der Stadt wird bis zu den Sternen reichen.
Okay, sagten die Leute, und fanden auf dem Feld einen Mann namens Přemysl den Pflüger, der auch brav die Schwelle baute, die Libuše heiratete und den Rest auch noch erledigte.
Die Stadt wurde übrigens nach der Türschwelle benannt: Praha.


Und so entstand angeblich das böhmische Königreich der Přemysliden. Deren Könige hießen alle entweder Václav (eingedeutscht Wenzel) oder Ottokar Přemysl, andere Namen standen nicht zur Verfügung.
Der erste Václav war ganz fromm, wurde von seinem Bruder beim Gebet getötet und heiliggesprochen. Sein Gedenktag ist der 28. September, ein staatlicher Feiertag. Präsident Zeman ist allerdings kein Fan vom Heiligen Václav, weil der sich einem fränkischen König unterworfen und feige kollaboriert hat.

Die Ottokars und Wenzels herrschten vom Ende des 9. Jahrhunderts bis 1306. Anfangs hatten sie nur Böhmen, dann wurde ihnen auch Teile Schlesiens und Mähren unterstellt. Das macht zusammen so ungefähr das heutige Tschechien.

So konnte Tschechien erstmal ein bisschen seine nationale Identität finden. Sonst hätten die Tschechen später gar nicht bemerkt, dass man sie erobert und eben diese Identität unterdrückt wird.
Naja, dieses Königreich Böhmen gehörte zwar zum großen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, aber es hatte darin eine Sonderstellung, und außerdem war das Heilige Römische Reich ja eh kein echter Staat so wie heute. Neben dem deutschen König/Kaiser war der böhmische König der einzige, der sich im Reich noch König nennen durfte. Dafür hatte er bei der Wahl des deutschen Königs keine Stimme - er war der Schenk des Reiches und trug den Becher des Königs, und er durfte den Wein einschenken.

Die Přemysliden starben irgendwann aus und wurden 1310 durch Heirat von den Luxemburgern abgelöst. Deren Könige hießen Johann und Karl. Karl IV. gründete 1348 die Karsuni (Univerzita Karlova) in Prag, das war die erste Uni nördlich der Alpen.

Weil die katholische Kirche ihren heiligen Auftrag, sich um ihre Schäfchen zu kümmern, vor allem dahingehend interpretierte, möglichst viel Geld zu verdienen, waren einige Leute mit ihr unzufrieden. Der Prediger Jan Hus zum Beispiel. (Der führte übrigens auch die Häkchen für die tschechische Schrift ein.) Das war aber kein Problem, das man nicht mit dem Konziler Konstanz und einem ordentlichen Scheiterhaufen lösen könnte, dachten sich die katholischen Bischöfe.

Nun, sie irrten sich. Nachdem Jan Hus 1415 verbrannt wurde, rasteten seine Anhänger, die Hussiten, ein bisschen aus. 1419 stürmten sie das Prager Rathaus und schmissen wichtige Menschen aus dem Fenster. Das war der erste Prager Fenstersturz. Die Hussiten mussten aufwändig in der Schlacht besiegt werden, bis die Katholiken wieder Ruhe hatten.

Aber nur kurz. Der nächste Reformator hieß Luther, kam aus Deutschland und veranstaltete noch viel mehr Wirbel. Kaiser Rudolf vom Heiligen Römischen Reich erlaubte zwar erstmal Religionsfreiheit, aber in Wahrheit wurden die Protestanten noch unterdrückt. Deshalb taten die Reformatoren, was schon das letzte Mal so gut funktioniert hatte: Sie gingen nach Prag und schmissen Leute aus dem Fenster, genau genommen die Statthalter des Königs aus der Burg.

Alle Länder Europas nahmen das als Anlass, um endlich mal so richtig schön Krieg zu führen und sich ein paar neue Gebiete zu schnappen... ach nee, ähm, natürlich nur, um ihre eigene Religion zu verteidigen.

Österreich-Ungarn schnappte sich zum Beispiel Tschechien. Und damit wären wir bei der nächsten Eroberung.
Die böhmischen Stände wählten zwar den deutschen Protestanten Friedrich von der Pfalz zu ihrem König, aber der regierte nur einen Winter lang. Dann verlor er 1620 die Schlacht am Weißen Berg gegen den Kaiser von Österreich-Ungarn, Ferdinand II.

Tschechien gehörte jetzt zum Reich der Habsburger und wurde von Wien aus beherrscht, und zwar ganz schön lange - für die Tschechen war das eine Epoche der Dunkelheit. Die offizielle Sprache war Deutsch, nicht Tschechisch.

1780 gab es in Wien einen anderen Kaiser, Joseph II. Der hat zum Beispiel die Leibeigenschaft abgeschafft, denn er war ein Anhänger des aufgeklärten Absolutismus. Allerdings hat er die Unabhängigkeit Tschechiens nur noch weiter ausgehebelt. Beides fanden die böhmischen Adeligen nicht so toll. Deshalb erfanden sie das Böhmische Staatsrecht, mit dem sie ihre Privilegien und Unabhängigkeit sichern wollten. Das fand der Joseph aber nicht so überzeugend.

Im 19. Jahrhundert fand eine nationale Wiedergeburt Tschechiens statt. Die Tschechen wollten wieder tschechisch sprechen und nicht so von Österreich unterdrückt werden. In dieser Zeit lebten bekannte Künstler wie Bedřich Smetana, Antonin Dvořák oder Franz Kafka, die das alle irgendwie thematisierten.
1848 entstand ein Pfingstaufstand, wo die Tschechen mit Gewalt unabhängig werden wollten. Klappte aber auch nicht.

Tschechien lag zu der Zeit unglücklicherweise zwischen Österreich und Preußen, weshalb die beiden Rivalen dort kämpften und verhandelten. In dem Zusammenhang liest man auch in deutschen Geschichtsbüchern viele tschechische Städtenamen. Bei der Olmützer Punktation (in Preußen auch Olmützer Schande genannt) schlossen Preußen, Österreich und Russland 1850 in Olomouc einen Friedensvertrag über ganz wenige Punkte, über die sie sich einig waren. Vorher hätte es fast schon einen Krieg zwischen beiden gegeben.
Den gab es dann stattdessen 1860, als Preußen Österreich in der Schlacht bei Königgrätz besiegte, und zwar im Dorf Sadová bei Hradec Králové. Danach schlossen sie den Frieden von Prag, und die Schande von Olmütz war getilgt oder so.

Die Industrielle Revolution gab es unterdessen natürlich auch noch. Österreich profitierte von der ganzen Industrie, die aus dem böhmischen Boden spross.


Im Ersten Weltkrieg mussten die Tschechen mit Österreich und Deutschland kämpfen. Danach zerbrach das Reich von Österreich-Ungarn und die Tschechen konnten endlich mal wieder unabhängig sein, wenn auch (Achtung, Spoiler!) nur kurz.

1918 wurde die Tschechoslowakische Republik gegründet. Vorher hatte man schon eine Regierung im Exil vorbereitet. Die Slowakei wollte nämlich auch gern mitmachen. Sogar ein Stückchen der Ukraine schloss sich 1919 an. Demokratie kam bei den Ländern einfach besser an als Monarchie.
Der erste Staatspräsident der Republik war Tomáš Garrigue Masaryk, ein Schriftsteller und Philosoph, an den bis heute Universitäten, Statuen und ungefähr die Hälfte aller Marktplätze in Tschechien erinnern. Ein großes historisches Vorbild eben.


In dieser Tschoslowakischen Republik lebten fast 30 Prozent Deutsche, vor allem im Sudetenland. Die hatten auch eigene Parteien, die oft mehr Unabhängigkeit für die Sudetengebiete forderten. Das führte zu Streit.

1938 beschloss Hitler: Wenn da im Sudetenland vor allem Deutsche leben, dann ist das ja quasi Deutschland. Und er annektierte das Land. Großbritannien und Frankreich halfen der Tschechoslowakei nicht, denn sie wollten den Hitler ja beschwichtigen.

Das funktionierte nicht besonders gut, denn einen Zweiten Weltkrieg gab es trotzdem, bei dem sich die Nazis auch noch die "Rest-Tschechei" unter den Nagel rissen.
Sie errichteten Konzentrationslager und ermordeten ganze Dörfer als Vergeltung, weil jemand ihren Statthalter Reinhard Heydrich bei einem Attentat umgebracht hatte.

1945 war dieser Spuk zu Ende. Leider nur, um von einem anderen Spuk abgelöst zu werden. Erst einmal erkämpften sich die USA und die Sowjetunion das Land und verwalteten es. Sie bestimmten eine Trennlinie entlang der Städte Karlsbad, Pilsen und Budweis.

Wie im letzten Weltkrieg gab es auch diesmal eine Exilregierung, die nach dem Krieg gut vorbereitet ins Land zurückkehrte. Sie ließ die Sudetendeutschen als Staatsfeinde vertreiben.

1946 gewannen die Kommunisten die Wahlen und stellten den Präsidenten. Das reichte ihnen aber nicht, und so änderten sie 1948 die Verfassung und ließen ihre politischen Gegner einsperren und ermorden. Jan Masaryk zum Beispiel, der Sohn des alten Masaryk und Verteidigungsminister, wurde wahrscheinlich aus dem Fenster geworfen, auch wenn es offiziell hieß, er habe Selbstmord begangen.
Das wird teilweise als dritter Prager Fenstersturz bezeichnet.

Die Kommunisten konnten nun jahrzehntelang ihre Gegner einsperren und das Land herunterwirtschaften - mit einer Ausnahme:
1968 gab es den Prager Frühling. Da wurde Alexander Dubček Vorsitzender der Kommunistischen Partei und wollte einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz, also ohne Zensur, mit Meinungsfreiheit und kleinen Privatunternehmen. Das kündigte er groß an und alle freuten sich.
Sie freuten sich zu früh, denn die Russen kamen mit Panzern angefahren, besetzten die Tschechoslowakei und stellten den Sozialismus mit unmenschlichem Antlitz wieder her.

Erst 1989 kam es dann zur Samtenen Revolution. Studenten demonstrierten, die Demo wurde gewaltsam aufgelöst, deshalb kam es zu noch mehr Demos und immer so weiter... Dabei klimperten die Leute alle mit ihren Schlüsseln, als Symbol für... Freiheit oder so.
Die Samtene Revolution ging relativ gewaltfrei und samtig, was auch daran lad, dass Gorbatschow in der Sowjetunion feststellte, dass er einfach kein Geld mehr hatte, um zig europäische Länder zu unterdrücken.
Der neue tschechoslowakische Präsident wurde Václav Havel.

Die Tschechoslowakei ließ sich 1992 scheiden, es entstanden die Tschechische und Slowakische Republik. Vereinbart hatten das die Ministerpräsidenten der Länder, der tschechische Ministerpräsident war damals der neoliberale Václav Klaus.
Die Scheidung war einvernehmlich - zumindest, was die Politiker anging. Die Bevölkerung war eigentlich eher dagegen.

Nach einer Volksabstimmung trat Tschechien 2004 der EU bei. Mittlerweile hat sich das Blatt wieder gewendet: Nachdem die Sozial- und Christdemokraten durch diverse Skandale ihre Glaubwürdigkeit verloren, haben die zwei rechten Parteien ANO und SPD während der Flüchtlingskrise Aufwind bekommen, obwohl (oder gerade weil) Tschechien eh kaum Migranten aufgenommen hat. Die SPD will sogar den EU-Austritt.

Auf jeden Fall wollen beide das Land, das seine undurchdringlichen Grenzen nach der Wende endlich losgeworden ist, wieder einzäunen. Früher sollte niemand rauskommen, heute soll niemand reinkommen.

Nationalisten und Kommunisten werden heutzutage wieder immer mehr gewählt. Ist ja logisch, Tschechien hat ja in der Vergangenheit schon gute Erfahrungen mit beiden gemacht.

Vielleicht lässt sich der Erfolg der Rechten aber auch einfach so erklären: Nachdem Tschechien im Lauf der Geschichte so oft erobert wurde, wollen die Tschechen jetzt einfach mal selber was erobern.

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