Mittwoch, 16. Dezember 2020

Die etwas freie Übersetzung eines teschechischen Corona-Songs

Die erste Viruswelle traf Tschechien nur schwach. Deshalb wurden die Regeln bald gelockert, im Sommer gab es in den Zügen nicht einmal Maskenpflicht - das war schon total ungewohnt. Die staatliche Bahn staatete eine eher gut gemeinte statt gut gereimte Werbekampagne für das Reisen im eigenen Land.

Statt Ausflügen über die Grenze reisen Sie durch unsere Republik.
Statt Bora-Bora verzauberte mich Kutná Hora.
Statt Benelux entdecken Sie den Barock in Kuks.


"Wenn Sie nicht leben wollen, damit Sie trinken,
dann trinken Sie wenigstens ein bisschen, damit ich leben kann!!"

Anfang September wurde die Maskenpflicht wiedereingeführt, hinzu kam ein Ampelsystem für die einzelnen Regionen. Mit strengen Regeln zögerte die Regierung noch. Ob das nun daran lag, an anderen Versäumnissen oder einfach an der Unvorhersehbarkeit einer solchen Krankheit - auf jeden Fall schüttelte die zweite und dritte Welle das Land umso heftiger durch. Nun können die Leute ihren eigenen Landkreis nicht mehr verlassen.

Kein Wunder, dass die Zufriedenheit mit der Regierung wie auch die Stimmung vielerorts im Keller ist (direkt neben den Bierkisten). Das nachfolgende Lied des Liedermachers Jarek Nohavica fängt die Lockdownmüdigkeit besser ein als jedes andere Corona-Lied, das ich kenne, allein schon die Melodie. Es heißt Mně snad jebne 2. Zur selben Melodie hat er nämlich schon etwas über Stress und Aggressionen im Straßenverkehr (bzw. in der modernen Welt) gedichtet.

Dies ist nun meine deutsche Übersetzung des Liedes. Das Verb jebne ist ein multifunktionaler Begriff der Umgangssprache aus Ostrava, ich habe definitiv nicht die vulgärste Bedeutung gewählt. (Beim Lesen bitte das Youtube-Video abspielen, um die dazugehörige Melodie zu hören.)



Montag, 31. August 2020

Bergtagebuch: Die flotte Koppe

Aufzeichnung einer Expedition auf die Schneekoppe

Es ist ein kühler Sommertag, graue Wolkenbänke und Sonnenstrahlen ringen um die Vorherrschaft am Himmel. Nach langer Fahrt stehen wir verloren an der Bushaltestelle am Rande eines Parkplatzes herum. Gasthäuser in eigentümlicher, kantiger Bauweise umgeben uns. Ihre seltsame Form resultiert sicher aus der Anpassung an die widrigen Bedingungen so hoch oben im Riesengebirge, wo der Winter oft ganze drei Monate dauert und gelegentlich sogar Schnee fällt, der länger als eine Woche liegenbleibt - lebensfeindliche Bedingungen, die sich bei uns daheim in Norddeutschland kaum jemand vorstellen könnte. So kam es, dass wir einen fatalen Fehler begingen, der einem Bergmann eigentlich nicht passieren sollte: Wir haben den Berg überschätzt.

Auch die Skifahrer leben unter härteren Bedingungen als anderswo, müssen sie doch derart schmale Brücken überqueren, um auf die Piste zu gelangen.

Dies also ist Pec pod Sněžkou (dämliche Eindeutschung: Petzer), der letzte Vorposten der Zivilisation (abgesehen von diversen Häusern, Eisständen, Imbissbuden, einem polnischen Gasthaus, einem Souvenirshop und der Seilbahnstation). Denn diese Ansiedlung liegt im Riesengebirge unterhalb der Sněžka (schöne Eindeutschung: Schneekoppe).

Hier beginnt unsere bislang größte Herausforderung (abgesehen von diversen Wanderungen in den Alpen). Wir wollen als erste Menschen (abgesehen von tausenden Touristen jährlich) den höchsten Gipfel der Tschechischen Republik bezwingen - und zwar ohne jegliche technische Hilfsmittel (abgesehen von der Seilbahn auf dem Rückweg und der Kartenapp auf dem Handy). Es ist ein gewagtes Unterfangen, doch gibt es kein Zurück. Der Berg ruft! Er ruft: "Bitte hinten anstellen!"

Denn während wir durch das Tal der Úpa die Ortschaft verlassen, sehen wir an der Talstation der Seilbahn zahllose Menschen anstehen. Entschlossen schreiten wir vorbei, denn als echte Wanderer ist solch ein komfortables Verkehrsmittel natürlich unter unserer Würde (außer auf dem Rückweg).

Das Flüsschen Úpa rauscht nicht nur über kleine Wasserfall-Stufen, sondern bildet auch einen Stausee, an dessen Ufer Kinder durch das Geäst eines Kletterwaldes streifen oder auf einer Sommerrodelbahn heruntersausen. Nur diese harten Bewährungsproben können den Nachwuchs auf das Überleben in dieser rauen Umgebung vorbereiten.


Nun müssen wir wählen, auf welcher Route wir den Aufstieg wagen. Sollen wir sofort bergauf steigen und die beliebteste Route über die Růžová Hora (Rosa Berg, der allerdings grün ist) unterhalb der Seilbahn wählen? Nein, wir wagen es nicht - zu groß ist die Gefahr, von Menschenmassen umgerannt zu werden oder sich mit der grassierenden Seuche zu infizieren.

Als ich meinen Onkel hierzu befragte, wusste er sogleich Rat und beschrieb eine lange, ausholende Strecke über so gut wie sämtliche umliegenden Berge und Berghütten, für die wir vermutlich mehrere Tage benötigt hätten. Hierfür hatten wir nicht ausreichend Proviant und Geld im Gepäck.
Daher wählten wir die Route dazwischen und folgten zunächst weiter dem Tale der Úpa. Der Weg ist sogar noch asphaltiert. Die hiesige Fauna besteht aus zahmen Ziegen, gesprächigen zweisprachigen Rentnern und Softeisverkäufern. Und dort - in der Ferne ist erstmals unser Ziel zu sehen!

Unter der Schneekoppe liegt auch ein weltberühmtes Hotel, in dem sich viele Gäste so wohlfühlen, dass sie hier ganze 18 Jahre verbringen.

Nach vielen Kilometern steigen wir dann endlich bergauf und nähern uns dem Gipfel von der Seite. Nun wird es ernst: Das Muster der grauen Pflastersteine wird zunehmend lockerer, wilder und schartiger. Nur die steinernen Rinnen für die Bäche sind weiterhin ordentlich gepflastert. Diese extremen Wege rauben uns schnell unsere Kraft und zwingen uns zu einer Pause an einer alten Wasserabfüllanlage. Zweifel kommen auf: Der Berggrat scheint noch so fern, und selbst dieser ist nur ein Zwischenziel. Werden wir am Gipfel ankommen oder wird uns diese harte Umgebung rasch den Garaus machen?

Doch wir haben Glück: Überraschend schnell erreichen wir den Kamm des Riesengebirges, ein rundliches Mosaik aus Grün und Grau, da das Felsgestein bewachsen wird von seltenen Gräsern, Moosen und Flechten - den einzigen Pflanzen, die so hoch oben noch überleben können. Ketten sollen sicherstellen, dass diese nicht von Wanderern zertrampelt werden. Da dieses Jahr besonders viele Besucher zugegen sind, wurden manche zusätzlich mit engmaschigen Zäunen umwickelt.
Dieser Kamm bildet die Grenze zwischen der tschechischen und polnischen Republik. Wir können das steile Ende des Tals und die Quelle der Úpa erspähen, und viele Kilometer weiter hinten die Wiesen, auf denen die Elbe entspringt. Doch streben wir in die entgegengesetzte Richtung.
An dieser Stelle befindet sich ein roh gezimmertes Gasthaus. Ob wir hier etwas speisen können? Nein. Denn es befindet sich bereits auf polnischem Hoheitsgebiet, weshalb in der polnischen Währung gezahlt werden muss. Und es ist gerammelt voll mit Polen, welche genau das bereits getan haben. Schlagartig befinden sich überall Polen. Polen, Polen, Polen, auf dem Vorplatz, auf dem Wanderweg, überall sind auf einmal Polen. Zur Hilfe! Wir sind mitten in eine polnische Invasion geraten mit dem Ziel, die Schneekoppe dem Territorium der Tschechischen Republik zu entreißen.

Woher nur kommen all die Polen? Die Antwort können wir nach wenigen Höhenmetern erkennen: Eine Seilbahn transportiert sie einfach aus der Stadt Karpacz herauf. Denn dies ist das Paradoxon der Schneekoppe: Die nähere und größere Stadt liegt auf der polnischen Seite von Tschechiens höchstem Berg, und von seinem Gipfel ist deutlich mehr polnisches als tschechisches Land zu sehen.
Kein Wunder, dass die Polen den Berg stürmen in dem Glauben, sie hätten ein größeres Anrecht auf ihn.

So ist der letzte Teil des Aufstiegs besonders anstrengend: Nicht nur geht es steil bergauf, wir müssen auch andauernd Polen ausweichen. Die steinerne Treppe führt im Zickzack aufwärts, ohne sich um Landesgrenzen zu scheren, sodass wir mehrmals das Territorium wechseln.

Doch endlich, nach langer, nicht enden wollender (aber trotzdem recht schnell endender) Anstrengung stehen wir am Ziel. Hier bietet sich uns a) auf polnischer Seite ein unvergleichlicher Blick bis weit ins Flachland und b) auf tschechischer Seite ein vergleichsweise begrenzter, doch landschaftlich umso faszinierenderer Blick über das Riesengebirge. Die uralten, unkenntlichen, grauen Schrifttafeln geben kaum etwas darüber preis, um welche Täler und Berge es sich handelt. Dieses hier kann ich nach dem heutigen Tage immerhin zweifelsfrei als das Tal der Úpa identifizieren.

Der Gipfel selbst besteht aus einer leicht gewölbten, steinigen Fläche, durch welche sich kreuz und quer die Staatsgrenze zieht. Die Polen sind bereits hier und haben das Plateau erobert.
In diesen extremen Höhen und Temperaturen (es ist recht kühl) herrscht ein erbarmungsloser Konkurrenzkampf: Mehrere Gebäude konkurrierend knallhart darum, welches am hässlichsten ist. Der klare Sieger ist das schwarze, mit zahllosen Aufklebern zugekleisterte Ufo, welches ein geschlossenes Restaurant beherbergt. Nahrung ist hier nur schwer zu beschaffen.

Lediglich Instant-Nudeln sind im hölzernen, löchrigen Turm zu verkaufen. Da wir darauf keinen Appetit verspürten, gingen wir instant wieder hinaus.
Doch wo ist nun der wahre Gipfel, der höchste Punkt dieses Plateaus? Meiner Einschätzung nach befindet er sich in der verschlossenen hölzernen Kapelle (oder welchem Zweck auch immer die Hütte dient), zumal diese sogar eine Art Gipfelkreuz auf ihrem Dach aufweist. Das Haus erinnert mich ein wenig an den historischen Hafenkran in meiner Heimat an der Ostsee.
Gerüchten zufolge sollen neuste Messungen ergeben haben, dass sich der mit 1603,2 m höchste Punkt des Berges tatsächlich um wenige Zentimeter auf der polnischen Seite befinden soll - und die Schneekoppe gar nicht Tschechiens höchster Gipfel ist. Letzteres erscheint mir unwahrscheinlich. Der Höhenunterschied auf dem Gipfelplateau beträgt nur wenige Zentimeter, der höchste Punkt Tschechiens würde sich also allenfalls um ein kurzes Stück zur Seite und nach unten verschieben.

Erstmals seit unserem Aufbruch sehe ich auf die Uhr, um zu schauen, wie lange wir für diese übermenschliche Herausforderung benötigt haben. Ach guck, 13:10 Uhr ist es. Nicht mal drei Stunden.

Sonntag, 30. August 2020

Was tun gegen tschechische Mäuse?

Mäuse sind ja eigentlich ganz putzige Tierchen. Allerdings gehören sie wahlweise nach draußen in die Natur, in ein Terrarium oder in einen Zoo. Wenn ich abends auf einem Sofa sitze und eine Maus über die Sofalehne krabbelt, ist das nicht ganz richtig. Und wenn sie nachts im Schlafzimmer andauernd an irgendetwas knabbert, ist an Schlaf nicht mehr zu denken.
Hier also ein Ratgeber, was mit einer tschechischen Maus in einem tschechischen Haus zu tun ist.

A. Die Zugänge blockieren

Wie kommen die Mäuschen überhaupt in die Wohnung rein? Die Frage lässt sich leicht beantworten, wenn an mehreren Stellen offene Röhren in der Wand klaffen und einige davon bereits mit Alufolie verstopft sind. Durch die alten Heizungsrohre kommen die Tierchen problemlos aus dem Keller nach oben. Im Schrank liegt noch eine angebrochene Rolle Alufolie. Die Lösung scheint einfach.

1. Stopfen Sie also die verbliebenen Löcher mit einem dicken Pfropfen aus der verbliebenen Alufolie zu.

2. Lauschen Sie die ganze Nacht, wie eine Maus versucht, den Pfropfen durchzunagen: Krrpkrrpkrrp. Fragen Sie sich, wer zuerst nachgibt: dickes zerknülltes Aluminium oder Mäusezähne? Stopfen Sie besorgt etwas Folie nach.

3. Hören Sie nach mehreren Nächten dennoch auf einmal: Krrpkrrpkrrppop… raschel, raschel. Die Maus hat es geschafft. Verstopfen Sie das Loch mit zunehmender Verzweiflung wieder.

4. Finden Sie erst nach vielen Wochen heraus, wo die meisten Mäuse tatsächlich herkommen: unter dem Klo. Öffnen Sie dazu die Klotür und sehen Sie zufällig eine Maus unter dem Porzellanklosett verschwinden. Entdecken Sie einen winzigen Spalt, durch den selbst der dünne Mäusekörper gerade so passt. Der wäre ihnen ansonsten nie aufgefallen. Verstopfen Sie ihn mit dem letzten Rest an Alufolie, bevor die Rolle leer ist. Hoffentlich gibt es nicht noch mehr solche unsichtbaren Zugänge in der Wohnung.

B. Die Mäuse fangen

Selbst wenn Sie es schaffen, wirklich alle Zugänge zu verschließen, sind ja trotzdem schon Mäuse in Ihrer Wohnung. Und mit den Lebensmitteln, die hier liegen, wird es denen hier drin bis an ihr Lebensende vermutlich besser gehen als draußen. Wie werden Sie die Gäste also los?
Die Tschechen sagen: Hier haste ne Falle, bring sie halt um. Die Deutschen sagen: Das kannst du doch nicht machen, versuch die erst mal auf der Wiese auszusetzen. Die Tschechen sagen: Dann ist die ruckzuck wieder bei dir in der Wohnung.
Ist es albern, sich Vorwürfe für das Töten einer Maus zu machen? Die will Ihnen (anders als die Mücken, die Sie zerklatschen) ja nicht einmal schaden, sondern nur essen und überleben.
Die tschechische Mentalität lässt nicht unbedingt darauf schließen, dass es im Dorf oder in der nächsten Kleinstadt so etwas wie Lebendfallen zu kaufen gibt. Mitten in diesem internationalen ethischen Konflikt ist es an Ihnen, zu improvisieren.

1. Erfinden Sie eine Lebendfalle mit dem, was Ihnen zur Verfügung steht. Alles, was Sie dazu brauchen, ist
  • ein Papierkorb mit fest verbundener Klappe
  • eine Schnur
  • ein Stück knochentrockenes (Das ist wichtig!) Hörnchen
  • Sie selbst, im Bett, lauschend
2. Sobald die Maus nachts im Papierkorb lautstark am Hörnchen knabbert, ziehen Sie stark an der Schnur. Der Papierkorb richtet sich auf, die Klappe schließt sich, die Maus sitzt fest.


3. Übergeben Sie die Maus an Ihre deutsche Verwandtschaft und schauen Sie zu, wie diese vergeblich versuchen, das Tier im heimischen Terrarium zu integrieren. Diese haben irgendwo gehört, dass es helfen soll, Mäuse mit demselben Duft zu besprühen, damit sie sich gegenseitig akzeptieren. Dies ist allerdings vollkommener Blödsinn. Überlegen Sie, ob es nicht gnädiger gewesen wäre, die Maus in Tschechien sofort zu töten.


4. Verschenken Sie die Maus schließlich zusammen mit der Verwandtschaft heimtückisch auf einem Gewinnspiel während einer Familienfeier. Die Aufgabe ist, sich einen Namen für die Maus auszudenken. Was der Preis ist (die Maus selbst), verraten Sie erst hinterher.

5. Eine andere, ganz simple Lebendfalle ergibt sich, falls eine Maus morgens einfach mal in ihren Rucksack klettert: Reißverschluss zu, fertig. Öffnen Sie den Rucksack draußen in Gegenwart eines streuenden Katers. Dann war ihr Tod zumindest zu etwas gut.

C. Die Mäuse töten

Einige Wochen ist Ruhe, dann geht es wieder los. Die Mäuse kehren zurück, vermutlich haben Sie ihre Schwäche längst erkannt. Sie können nicht jede Nacht eine lebend fangen, und auch der Kater ist nicht immer da, wenn Sie ihn suchen. Geben Sie also auf und verfahren Sie nach der tschechischen Methode.

1. Lassen Sie sich Giftkügelchen geben und verteilen Sie diese auf Deckeln in der Wohnung. Berühren Sie das Gift nicht. Erhalten Sie ein Achselzucken auf Ihre Frage, ob sich die vergiftete Maus nicht in einen Winkel der Wohnung zurückzieht, dort stirbt, verwest und stinkt.

2. Hat dies keine ausreichende Wirkung erzielt, verteilen Sie weiße zuklappende Mäusefallen mit Katzenfutter drin in den Zimmerecken neben den Röhren und neben dem Biomüll.

3. Fangen Sie sechs Mäuse innerhalb von zwei Tagen und werfen Sie sie weg. Dann ist Ruhe. Ihr schlechtes Gewissen ist beinahe verschwunden, Sie sind nur noch froh, dass es vorbei ist - wenn auch nicht für immer.

Samstag, 29. August 2020

Tschechische Zimmer

Int schechischen Häusern und Höfen gibt es ein Wohnzimmer (obyvák), ein Kinderzimmer (děcák) und eine Küche (kuchyň) wie woanders auch - jedoch auch einige Zimmer, die man so nicht unbedingt in Deutschland findet.
Die typische Endung für ein Zimmer ist -ák. Děcák bedeutet zum Beispiel wörtlich "Kinderák".

Šatna (Ankleidezimmer)

In Deutschland gibt es Ankleidezimmer fast nur bei Reichen, und deren Ankleidezimmer haben nicht viel mit einer tschechischen Šatna zu tun.
Es handelt sich hierbei um einen muffigen, dunklen und meist fensterlosen Raum voller Schränke, in denen dicke Wintersachen und andere Kleider gelagert werden, die man nicht unbedingt täglich anzieht. Eine Šatna muss einfach sein, selbst wenn die beiden Kinder deshalb kein eigenes Zimmer haben und zusammengepfercht werden.
Im Übrigen bedeutet Šatna auch so viel wie Umkleide oder Garderobe, man findet das Wort also auch in Schwimmhallen und Theatern.

Záchod (Toilette)

Die Toilette befindet sich fast immer getrennt vom Rest des Bades in einem winzigen Zimmer, manchmal mit winzigen Waschbecken. Neben diesem Klokabuff liegt das große Bad (koupelna) mit Dusche, Wanne und Zahnbürsten - jedoch ohne WC.

Draußen findet man außerdem häufig die kulna (rostige Scheune) und natürlich den bazén (Pool).

Freitag, 28. August 2020

Flüsse: Morava (March)

Das hier ist der Berg Králický Snežník (unschöne Eindeutschung: Glatzer Schneeberg). Er trägt denselben Namen wie das Gebirger ringsherum: Králický Snežník (leicht veränderte Eindeutschung: Glatzer Schneegebirge). Dieser berühmte Berg liegt am Ende einer Tal-Sackgasse direkt auf der Grenze nach Polen. Er ist, um es in den Worten meiner Schwester zu sagen, ein "Dreipinkelweg". Geographen sprechen lieber von einer Europäischen Hauptwasserscheide. Wer auf dem Gipfel Wasser lässt, hat die Wahl, in welchem Meer das Wasser landen soll. Er muss sich nur in die entsprechende Himmelsrichtung drehen.

Auf der polnischen Seite fließt ein Bach zur Oder und in die Ostsee. Ein weiterer Bach landet über die Orlice/Adler und die Elbe in der Nordsee. Die Namen dieser kleinen Bäche kenne ich nicht. Der dritte Bach aber landet im Schwarzen Meer, und der hat einen bekannten Namen. Er heißt Morava (unnötige Eindeutschung: March) und damit genau so wie das östliche Drittel Tschechiens, dessen Lebensader er darstellt (das heißt eingedeutscht aber Mähren). Deshalb ist die Quelle eingefasst und ausgeschildert. Sie kommt aus Kalksteinhöhlen. Ich wollte da eigentlich gern mal hinwandern, aber leider war es für einen Tagesausflug zu weit und ich habe keine Übernachtungsmöglichkeit gefunden.

Erst nach etwa zehn Kilometern taucht die erste Ortschaft auf. Auch sie wurde nach dem Fluss benannt: Dolní Morava (völlig inkonsequente Eindeutschung: Mohrau). Hier liegt ein großes Skigebiet mit außergewöhnlichem Aussichtsturm, Sommerrodelbahnen, Hängebrücke, Escape-Room-Bergwerk und Riesenspielplätzen. Die Bauarbeiten an diesem Erlebnisareal stören die Idylle in den Bergen allerdings massiv. Hoffentlich sind die bald fertig.


Die junge Morava ist noch flach und von Nadelbäumen verdeckt. Aber sie rauscht entschlossen gen Süden, um (neben Elbe und Moldau) einer der wichtigsten Flüsse des Landes zu werden.

Bald darauf öffnet sich das Tal. Aus dem Grenzgebirge wird Hügelland, und aus dem Bezirk Pardubice wird der Bezirk Olomouc. Mein Handy war der Meinung, dieser Übergang sähe in Schwarzweiß besser aus, und wer bin ich, dem zu widersprechen?

Ab durch die Mitte von Mähren!

Zügig steuert die Morava auf die Bezirkshauptstadt zu und durchquert Olomouc (unnötige Eindeutschung: Olmütz). Das ist die größte Stadt an der Morava.

Ruhiger zieht der Fluss zwischen flachen grauen Brücken, Parks und befestigten steinernen Ufern dahin, während orangefarbene Straßenbahnen über sie hinwegrumpeln.

Nur eine Straßenbahnhaltestelle entfernt strömen ihre Nebenflüsse parallel zur Morava dahin. Wer zwischen dem Bahnhof und der Altstadt unterwegs ist, überquert wirklich viele Brücken.

Olomouc ist eine alte Universitätsstadt mit prächtigen Gebäuden und weniger prächtigen Baustellen. Hügelige Straßen laden zum Schlendern und Entdecken ein. Mit etwas Glück entdeckt man sogar einen historischen Platz ohne Baustelle.

Diese Stadt verfügt über ein umfangreiches Sortiment an katholischen Gotteshäusern, vom klassisch-tschechischen weiß verputzten Exemplar über eine gotisch-graue Großstadt-Kathedrale bis hin zu einer kunterbunten Kirche, die man eher in Moskau erwarten würde.

Später durchquert der Fluss Uherské Hradiště. Der Name bedeutet so viel wie "ungarische Festung", denn genau das war der Ort früher. Daraus kann man schon mal schlussfolgern, dass er im Süden Tschechiens liegt.

Es handelt sich auch um eine Art Doppelstadt, denn direkt nebenan liegt eine zweite Stadt mit dem extrem sperrigen Namen Staré Město u Uherského Hradiště ("Alte Stadt bei der Ungarischen Festung"). Zwischen den beiden Städten fließt die Morava.

Uherské Hradiště hat mehrere große, belebte Plätze vor einer hübschen Häuserkulisse. Da standen gerade Buden, an denen Weihnachtsmarktleckereien verkauft wurden.


Am Rande der Innenstadt erstreckt sich ein Park mit einem besonderen Eingang. Solch ein kleines Tor habe ich bisher in keiner Stadtmauer gesehen. Größere Menschen sollten sich ducken.

Außerdem gibt es hier die schmalsten Fahrradstreifen der Welt.

Im Süden fängt die Morava an, ihre Länge zu pimpen, indem sie massiv mäandert. Das macht die Menschen misstrauisch, zumal sie dadurch nicht so gut mit Schiffen fahren können. Deshalb packen sie die Morava in Hochwasserdeiche ein.
Die Morava wird zum Grenzfluss zwischen Tschechien und der Slowakei. Dann fließt die Thaya dazu, der österreichische Grenzfluss, und die Morava trennt nun Österreich und die Slowakei voneinander. Dieser Abschnitt hat nur drei Brücken und eine Fähre. Weitere Fußgänger- und Fahrradbrücken lehnen die österreichischen Anwohner in Bürgerbefragungen regelmäßig ab.
Auf der österreichischen Seite verläuft der Kamp-Thaya-March-Radweg, aber in Tschechien gibts keinen richtigen Morava-Radweg.
Blick aus der Bahn auf den österreichischen Abschnitt

Kurz vor der slowakischen Hauptstadt Bratislava mündet die Morava in ein Durchbruchtal der Donau.

Für alle Fälle

Was haben Tschechien und der Fluss Mirna in Kroatien gemeinsam? Sieben Fälle.
Und was haben Tschechisch und Latein gemeinsam? Die Art, wie diese Fälle benutzt werden, jedenfalls ein bisschen.

Der Umgang mit tschechischen Verben ist relativ einfach. Es gibt nur drei richtige Zeitformen (Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit, letzteres eine Mischung aus Präteritum und Perfekt), die Verneinung ist geradezu lächerlich einfach (immer ein ne vornedran hängen, fertig) - ja, das Konjugieren geht echt in Ordnung.

Doch die Grundregel beim Sprachenlernen lautet: Wenn irgendwas einfach ist, muss zum Ausgleich etwas anderes ganz knifflig. Und das wären in Tschechien die Substantive und Adjektive.
Falls Sie einmal Lateinunterricht genommen haben: Es ist so ähnlich, nur schlimmer. Im Lateinischen gibt es 5 Deklinationsklassen, in Tschechien hingegen 12, davon 4 sächliche, 4 weibliche und 6 männliche (2 für lebende Sachen, 2 für unbelebte und 2 Extraklassen für spezielle Endungen). Das Ganze gibt es dann noch in der Einzahl und Mehrzahl, das macht insgesamt 168 verschiedene Endungen, also theoretisch. Natürlich wiederholen sich da viele Endungen und natürlich gibt es da auch bestimmte Muster, zum Beispiel sind wie auf Latein bei sächlichen Worten immer 1. und 4. Fall gleich. Nur gibt es von diesen Mustern immer Ausnahmen, und zwar immer gerade so viele, dass es kaum noch Sinn ergibt, die Muster zu lernen.
Viele Fälle werden eigentlich fast nur mit entsprechenden Präpositionen verwendet, und das ist auch gut so, denn nur so lassen sie sich einigermaßen merken.

Ach ja: Während in Deutschland schon in der Grundschule die Begriffe "Nominativ" oder "Genitiv" fallen, werden die in Tschechien allenfalls von Sprachwissenschaftlern benutzt. Alle anderen sagen nur 1. oder 2. pád (Fall).

1. pád (Nominativ)
kdo/co?=wer/was?

z.B. Petr=Peter (ein männliches, lebendiges Wort)

Das ist noch einfach.

2. pád (Genitiv)
(bez) koho/čeho?=(ohne wen/was?) wessen?

bez Petra=ohne Peter
Petra=Peters

Das ist ungewohnt: Mit dem Wort "ohne" muss man den zweiten Fall benutzten. Es heißt zum Beispiel "Ohne des Briefes hätte ich nicht davon erfahren."

3. pád (Dativ)
pro koho/čeho?=(für wen/was?) wem?

(pro) Petra=(für) Peter

4. pád (Akkusativ)
(vidím) koho/čeho?=(ich sehe) wen/was?

(vidím) Petra=(ich sehe) Peter

5. pád (Vokativ)

Petere!=Peter!

Wenn man jemanden ruft oder anspricht, benutzt man auf Deutsch den 1. Fall. Die Tschechen haben dafür hingegen einen Extrafall - Lateiner kennen ihn: Den Vokativ. Aber während er auf Latein fast immer derselbe ist wie der 1. Fall, ist er in Tschechien fast immer anders. Theoretisch existieren sogar Vokativformen für unbelebte Gegenstände, falls ein Dichter mal metaphorisch einen Berg ansprechen möchte. ("O Berg, wie bist du schön!")

6. pád (Lokal)

koho/čeho?=bei wem/was?

(u) Petra=(bei) Peter

Damit wären wir jetzt bei den Fällen, die man gar nicht mehr vernünftig erklären kann. Macht auch nix, denn die kommen eigentlich eh nur mit den entsprechenden Präpositionen vor. Den 6. könnte man mit dem Ablativ des Ortes im Lateinischen vergleichen.

7. pád (Instrumental)
(s) kým/čím?=mit wem/was?

(s) Petrem=(mit) Peter

Und der 7. ist so was wie der Ablativ des Mittels.

Samstag, 1. August 2020

9 Sehenswürdigkeiten in Tschechien und ihre deutschen Gegenstücke

An einigen Orten in Deutschland habe ich auf einmal das Gefühl: Hm, das kenne ich doch irgendwoher? Dann fällt mir ein, dass es mich an einen Ort erinnert, der hunderte Kilometer entfernt ist.

Sky Bridge 721 Dolní Morava/Skywalk Willingen

Vom selben Hersteller stammen diese atemberaubenden Riesenhängebrücken mit Gitterboden (praktisch, dann kann man nur dann durchgucken, wenn man senkrecht nach unten blickt - wäre das Ding völlig durchsichtig, wäre es wohl zu heftig). Kaum hatte die Brücke im Willingen als längste Fußgängerhängebrücke der Welt geöffnet, kam auch schon das ehrgeizige Dolní Morava und jagte Hessen den Rekord wieder ab. Verängstigte Touristen latschen über eine grüne Schlucht aus Nadelwald und genießen den Blick oder überlegen, ob sie direkt umkehren sollen. Riesige Stahlseile halten das schwankende Monster. Gebucht wird online oder über moderne Kassenautomaten.

Unterschied: In Tschechien ist das Ende eine Sackgasse in einem Gitterkäfig, man muss zwangsläufig umkehren. In Deutschland kann man dagegen raus und irgendwann später im Tag mit demselben Ticket wieder zurück - also keine reine Attraktion zum stumpf ansteuern und abklappern, vielmehr lässt sie sich in eine echte Wanderung einbinden.

Jüdischer Friedhof Kolín/Worms

Ein Wirrawarr uralter Grabsteine, die im Nebel wie schiefe Zähne aus dem Boden ragen? Verziert mit geheimnisvollen Schriftzeichen? Das sind der größte (Worms) und zweitgrößte (Kolin) jüdische Friedhof Europas.

Unterschied: In Worms kann man so reingehen, in Kolin muss man erst den Schlüssel abholen. In Worms fährt die Bahn gleich nebenan.

 

Dolní Vítkovice Ostrava/Landschaftspark Duisburg Nord

Die Hochzeit der Industrialisierung ist längst vorbei, unser Stahl wird in China produziert. Was machen wir also mit den alten Hochöfen? Sowohl die Menschen in Ostrava als auch in Duisburg kamen zu dem Schluss, dass man da irgendwas Spektakuläres draus machen sollte, statt es abzureißen oder verfallen zu lassen. Denn sobald ein paar Jahrzehnte vergangen sind, ist das für die meisten Menschen kein scheußlicher Arbeitsplatz mehr, sondern eine faszinierende Kulisse für Instagram-Fotos.

Unterschiede: In Duisburg ist ein Park drumherum, in einem Bunker laichen Kreuzkröten und es wachsen alpine Pflanzen. In Ostrava beschränkt sich die Pflanzenwelt auf ein paar Grashalme unter sinnlosem Kunstschnee. Das Gasometer ist in Ostrava eine Veranstaltungshalle, in Duisburg ein Tauchbecken. In Duisburg darf man rund um die Uhr einen Hochofen besteigen, in Ostrava nur mit Führung. Dafür hat Duisburg keinen modernen Bolt-Tower mit Cafe auf dem Hochofen drauf. Außerdem muss man sich alles selbst auf langen Hinweistafeln durchlesen, statt dass es ein Führer erklärt. Im Sommer ist in Ostrava eine Fahrt mit der Lore vom Hochofen runter inklusive.



Pferdeschwanz am Vaclavské Náměstí/Weltzeituhr am Alexanderplatz

Wenn man sich auf dem größten Platz der größten Stadt verabredet, benötigt man einen konkreten Treffpunkt. Prager treffen sich "unterm Schwanz" ihres Königs, also von dessen Pferd. Deutsche treffen sich pragmatisch unter einer Uhr. So wissen sie gleich, wie viel Verspätung der andere hatte.

Unterschied: Der Pferdeschwanz zeigt nicht die Uhrzeit in New York an.


Schlosspark Letohrad/Pfalzgarten Goslar

Eine alte Parkanlage, umgeben von bröckeligen Mauern? Das kenne ich doch irgendwoher.

Unterschiede: Der Letohrader Park ist deutlich größer und hat eine Drachengrotte mit Drachen, aus dessen Maul der Fuß einer Prinzessin ragt.
 

Katakomben Mělník/Oppenheimer Kellerlabyrinth

Wer durch die Straßen einer wunderhübschen bunten Kleinstadt schlendert, weiß zunächst nicht, was sich unter seinen Füßen verbirgt. Erst wenn er sich in der Touristinfo zu einer Führung anmeldet, kann er die enge Treppe nach unten steigen und entdeckt die tiptop restaurierte, saubere Unterwelt: Das geheime Innenleben, Lager und der Rückzugsort einer Handelsstadt, deren Oberfläche vor allem während der Renaissance von Kriegen heimgesucht wurde. Eine nette alte Dame erklärt die Geschichte der Gänge.

Unterschiede: In Deutschland trägt man unter dem Helm ein Hygienehäubchen, derlei ist in Tschechien unbekannt. Das deutsche Labyrinth ist größer, hat aber keinen riesigen Brunnen.

Burg Bouzov/Marksburg

Diese hochgelegene, vergleichsweise farbenfrohe Burg kann man nur während einer Erwachsenen- oder sehr kinderfreundlichen Führung besichtigen. Die mittelalterbegeisterten Kinder dürfen anschließend den Merchandise-Shop leerkaufen.

Unterschiede: Burg Bouzov ist noch bunter. Auf ihr wurden Märchenfilme gedreht, auf der Marksburg Löwenzahn.

 

Schneekoppe/Zugspitze

Der höchste Berg der Republik liegt exakt auf der Grenze und gehört zur Hälfe einem eng verwandten, aber doch etwas anderen Nachbarland (Polen/Österreich). Obendrauf steht ein Komplex nicht gerade schöner Gebäude. Eine lange Kabinenbahn gondelt nach oben, mit deren Hilfe jeder Staatsbürger den höchsten Gipfel seiner Nation betreten kann, auch wenn er nicht wandern kann oder mag.

Unterschiede: So ziemlich alles andere, grob gesagt eben der Unterschied zwischen Hoch- und Mittelgebirge. Dieser Unterschied beträgt 1358,8 m. Er führt dazu dass
a) wie der Name schon sagt, der eine Berg eine Spitze ist und der andere eine rundliche Koppe
b) ich für die Besteigung der Zugspitze dreimal so lange benötige, selbst wenn ich zwischendurch Seilbahnen zur Abkürzung nutze.


Ich habe überlegt, ob ich die Schneekoppe nicht lieber dem Brocken gegenüberstellen sollte. Optisch sind die sich ähnlicher. Aber so ganz passt das auch nicht.

Aquapark Žamberk/Olantis Huntebad Oldenburg

In diesen Freibädern darf man sowohl im Becken als auch in einem Naturfluss (Orlice/Hunte) schwimmen. Hätte gar nicht gedacht, dass so etwas auch in Deutschland so einfach geht.

Unterschiede: In Deutschland muss man halt nur vorher einen neuen Flussarm bauen, über den die Mühlenhunte außenrum fließen kann, den Fluss auf der einen Seite mit großen Steinen abdichten und auf der anderen Seite mit einem Netz, das an einem Steg hängt, und einen flachen Sandstrand aufschütten. Da sage noch einer, in Deutschland sei immer alles so kompliziert.