Vor
etwa 40 000 Jahren kamen Steinzeitmenschen von Afrika nach Europa und Asien.
Alle Tschechen sind also ursprünglich Afrikaner. Na, hoffentlich
erfährt Tomio Okamura nichts davon...
Von
den ersten Bewohnern Tschechiens weiß vor allem, wie sie ihre Leute
beerdigt haben: In Urnenfeldern und später Hügelgräbern (4000 -
5000 v. Chr.).
Etwa
400 v. Chr. wanderten Kelten in Tschechien ein, genau genommen die
Boier (lateinisch Boiohaemum). Daher kommt der Name Böhmen.
Im
6. Jahrhundert kamen die Slawen aus dem Osten, vom Fluss Dnepr (heute
Ukraine). Von ihnen stammen die meisten Tschechen ab, und die
slawische Sprachfamilie brachten sie auch noch mit. Der Sage stieg
der Urvater Čech auf den Berg Říp, blickte hinab auf Tschechien
und sprach: Jo Leute, lass mal da unten wohnen.
(Die
Autobahn daneben wurde erst später erbaut.)
Das
heutige Tschechien besteht aus drei historischen Königreichen:
Böhmen, Mähren (Morava) und Schlesien (Slezsko). Böhmen und Mähren
sind komplett drin, von Schlesien nur ein kleiner südlicher
Streifen. Der Rest Schlesiens gehört zu Polen.
Auf
Tschechisch ist böhmisch und tschechisch bzw. Böhmen und Tschechien
dasselbe Wort (česky bzw. Česko).
Die
tschechische Geschichte besteht in erster Linie aus Eroberungen und
Fensterstürzen. Ständig wurde Tschechien von irgendwem erobert und
gehörte dann zu irgendeinem größeren Reich.
Zuerst
war da im 7. Jahrhundert das Samo-Reich. Dieser Samo war ein
fränkischer Kaufmann, der über Teile von Mittel- und Osteuropa
herrschte. Das Zentrum des Reiches war Mähren. Besonders viel weiß
man nicht über diese Zeit. Aber es war der erste richtige Staat auf
tschechischem Gebiet. Vorher waren da bloß irgendwelche Stämme.
Als
nächstes wurde Tschechien von Karl dem Großen erobert und gehörte
zu Beginn des 9. Jahrhunderts zum Frankenreich. Die tschechischen
Slawen waren ursprünglich orthodox, aber durch Karl wurden sie
katholisch.
Ende
des 9. Jahrhunderts gab es für einige Zeit das Mährerreich in
Mähren und der heutigen Slowakei. Dieses Reich hatten die Slawen
selbst auf die Beine gestellt. Es umfasste aber noch nicht das ganze
Tschechien. Aber gleich danach gab es dann endlich den ersten
richtigen tschechischen Staat.
Dazu
gibt es auch eine Legende. Die Leute baten die Wahrsagerin Libuše um
Hilfe, was man gegen die anarchischen Zustände im Land tun könnte.
Die Wahrsagerin begann, sehr große Töne zu spucken: Sucht mir einen
Mann, der mir hierhin eine Türschwelle (prah) baut. Dann machen wir
daraus eine Burg und eine Stadt und ein Königreich auch noch. Die
Berühmtheit der Stadt wird bis zu den Sternen reichen.
Okay,
sagten die Leute, und fanden auf dem Feld einen Mann namens Přemysl
den Pflüger, der auch brav die Schwelle baute, die Libuše
heiratete und den Rest auch noch erledigte.
Die
Stadt wurde übrigens nach der Türschwelle benannt: Praha.
Und
so entstand angeblich das böhmische Königreich der Přemysliden.
Deren Könige hießen alle entweder Václav (eingedeutscht Wenzel)
oder Ottokar Přemysl, andere Namen standen nicht zur Verfügung.
Der
erste Václav war ganz fromm, wurde von seinem Bruder beim Gebet
getötet und heiliggesprochen. Sein Gedenktag ist der 28. September,
ein staatlicher Feiertag. Präsident Zeman ist allerdings kein Fan
vom Heiligen Václav, weil der sich einem fränkischen König
unterworfen und feige kollaboriert hat.
Die
Ottokars und Wenzels herrschten vom Ende des 9. Jahrhunderts bis
1306. Anfangs hatten sie nur Böhmen, dann wurde ihnen auch Teile
Schlesiens und Mähren unterstellt. Das macht zusammen so ungefähr
das heutige Tschechien.
So
konnte Tschechien erstmal ein bisschen seine nationale Identität
finden. Sonst hätten die Tschechen später gar nicht bemerkt, dass
man sie erobert und eben diese Identität unterdrückt wird.
Naja,
dieses Königreich Böhmen gehörte zwar zum großen Heiligen
Römischen Reich Deutscher Nation, aber es hatte darin eine
Sonderstellung, und außerdem war das Heilige Römische Reich ja eh
kein echter Staat so wie heute. Neben dem deutschen König/Kaiser war der böhmische König der einzige, der sich im Reich noch König nennen durfte. Dafür hatte er bei der Wahl des deutschen Königs keine Stimme - er war der Schenk des Reiches und trug den Becher des Königs, und er durfte den Wein einschenken.
Die Přemysliden
starben irgendwann aus und wurden 1310 durch Heirat von den
Luxemburgern abgelöst. Deren Könige hießen Johann und Karl. Karl
IV. gründete 1348 die Karsuni (Univerzita Karlova) in Prag, das war
die erste Uni nördlich der Alpen.
Weil
die katholische Kirche ihren heiligen Auftrag, sich um ihre Schäfchen
zu kümmern, vor allem dahingehend interpretierte, möglichst viel
Geld zu verdienen, waren einige Leute mit ihr unzufrieden. Der
Prediger Jan Hus zum Beispiel. (Der führte übrigens auch die
Häkchen für die tschechische Schrift ein.) Das war aber kein
Problem, das man nicht mit dem Konziler Konstanz und einem
ordentlichen Scheiterhaufen lösen könnte, dachten sich die
katholischen Bischöfe.
Nun,
sie irrten sich. Nachdem Jan Hus 1415 verbrannt wurde, rasteten seine
Anhänger, die Hussiten, ein bisschen aus. 1419 stürmten sie das
Prager Rathaus und schmissen wichtige Menschen aus dem Fenster. Das
war der erste Prager Fenstersturz. Die Hussiten mussten aufwändig in
der Schlacht besiegt werden, bis die Katholiken wieder Ruhe hatten.
Aber
nur kurz. Der nächste Reformator hieß Luther, kam aus Deutschland
und veranstaltete noch viel mehr Wirbel. Kaiser Rudolf vom Heiligen
Römischen Reich erlaubte zwar erstmal Religionsfreiheit, aber in
Wahrheit wurden die Protestanten noch unterdrückt. Deshalb taten die
Reformatoren, was schon das letzte Mal so gut funktioniert hatte: Sie
gingen nach Prag und schmissen Leute aus dem Fenster, genau genommen
die Statthalter des Königs aus der Burg.
Alle
Länder Europas nahmen das als Anlass, um endlich mal so richtig
schön Krieg zu führen und sich ein paar neue Gebiete zu
schnappen... ach nee, ähm, natürlich nur, um ihre eigene Religion
zu verteidigen.
Österreich-Ungarn
schnappte sich zum Beispiel Tschechien. Und damit wären wir bei der
nächsten Eroberung.
Die
böhmischen Stände wählten zwar den deutschen Protestanten
Friedrich von der Pfalz zu ihrem König, aber der regierte nur einen
Winter lang. Dann verlor er 1620 die Schlacht am Weißen Berg gegen
den Kaiser von Österreich-Ungarn, Ferdinand II.
Tschechien
gehörte jetzt zum Reich der Habsburger und wurde von Wien aus
beherrscht, und zwar ganz schön lange - für die Tschechen war das
eine Epoche der Dunkelheit. Die offizielle Sprache war Deutsch, nicht
Tschechisch.
1780
gab es in Wien einen anderen Kaiser, Joseph II. Der hat zum Beispiel
die Leibeigenschaft abgeschafft, denn er war ein Anhänger des
aufgeklärten Absolutismus. Allerdings hat er die Unabhängigkeit
Tschechiens nur noch weiter ausgehebelt. Beides fanden die böhmischen
Adeligen nicht so toll. Deshalb erfanden sie das Böhmische
Staatsrecht, mit dem sie ihre Privilegien und Unabhängigkeit sichern
wollten. Das fand der Joseph aber nicht so überzeugend.
Im
19. Jahrhundert fand eine nationale Wiedergeburt Tschechiens statt.
Die Tschechen wollten wieder tschechisch sprechen und nicht so von
Österreich unterdrückt werden. In dieser Zeit lebten bekannte
Künstler wie Bedřich Smetana, Antonin Dvořák oder Franz Kafka,
die das alle irgendwie thematisierten.
1848 entstand ein Pfingstaufstand, wo die Tschechen mit Gewalt unabhängig
werden wollten. Klappte aber auch nicht.
Tschechien lag zu der Zeit unglücklicherweise zwischen Österreich und Preußen, weshalb die beiden Rivalen dort kämpften und verhandelten. In dem Zusammenhang liest man auch in deutschen Geschichtsbüchern viele tschechische Städtenamen. Bei der Olmützer Punktation (in Preußen auch Olmützer Schande genannt) schlossen Preußen, Österreich und Russland 1850 in Olomouc einen Friedensvertrag über ganz wenige Punkte, über die sie sich einig waren. Vorher hätte es fast schon einen Krieg zwischen beiden gegeben.
Den gab es dann stattdessen 1860, als Preußen Österreich in der Schlacht bei Königgrätz besiegte, und zwar im Dorf Sadová bei Hradec Králové. Danach schlossen sie den Frieden von Prag, und die Schande von Olmütz war getilgt oder so.
Die
Industrielle Revolution gab es unterdessen natürlich auch noch.
Österreich profitierte von der ganzen Industrie, die aus dem
böhmischen Boden spross.
Im
Ersten Weltkrieg mussten die Tschechen mit Österreich und
Deutschland kämpfen. Danach zerbrach das Reich von Österreich-Ungarn
und die Tschechen konnten endlich mal wieder unabhängig sein, wenn
auch (Achtung, Spoiler!) nur kurz.
1918
wurde die Tschechoslowakische Republik gegründet. Vorher hatte man
schon eine Regierung im Exil vorbereitet. Die Slowakei wollte nämlich
auch gern mitmachen. Sogar ein Stückchen der Ukraine schloss sich
1919 an. Demokratie kam bei den Ländern einfach besser an als
Monarchie.
Der
erste Staatspräsident der Republik war Tomáš Garrigue Masaryk, ein
Schriftsteller und Philosoph, an den bis heute Universitäten,
Statuen und ungefähr die Hälfte aller Marktplätze in Tschechien
erinnern. Ein großes historisches Vorbild eben.
In
dieser Tschoslowakischen Republik lebten fast 30 Prozent Deutsche,
vor allem im Sudetenland. Die hatten auch eigene Parteien, die oft
mehr Unabhängigkeit für die Sudetengebiete forderten. Das führte
zu Streit.
1938
beschloss Hitler: Wenn da im Sudetenland vor allem Deutsche leben,
dann ist das ja quasi Deutschland. Und er annektierte das Land.
Großbritannien und Frankreich halfen der Tschechoslowakei nicht,
denn sie wollten den Hitler ja beschwichtigen.
Das
funktionierte nicht besonders gut, denn einen Zweiten Weltkrieg gab
es trotzdem, bei dem sich die Nazis auch noch die "Rest-Tschechei"
unter den Nagel rissen.
Sie
errichteten Konzentrationslager und ermordeten ganze Dörfer als
Vergeltung, weil jemand ihren Statthalter Reinhard Heydrich bei einem
Attentat umgebracht hatte.
1945
war dieser Spuk zu Ende. Leider nur, um von einem anderen Spuk
abgelöst zu werden. Erst einmal erkämpften sich die USA und die
Sowjetunion das Land und verwalteten es. Sie bestimmten eine
Trennlinie entlang der Städte Karlsbad, Pilsen und Budweis.
Wie
im letzten Weltkrieg gab es auch diesmal eine Exilregierung, die nach
dem Krieg gut vorbereitet ins Land zurückkehrte. Sie ließ die
Sudetendeutschen als Staatsfeinde vertreiben.
1946
gewannen die Kommunisten die Wahlen und stellten den Präsidenten.
Das reichte ihnen aber nicht, und so änderten sie 1948 die
Verfassung und ließen ihre politischen Gegner einsperren und
ermorden. Jan Masaryk zum Beispiel, der Sohn des alten Masaryk und
Verteidigungsminister, wurde wahrscheinlich aus dem Fenster geworfen,
auch wenn es offiziell hieß, er habe Selbstmord begangen.
Das
wird teilweise als dritter Prager Fenstersturz bezeichnet.
Die
Kommunisten konnten nun jahrzehntelang ihre Gegner einsperren und das
Land herunterwirtschaften - mit einer Ausnahme:
1968
gab es den Prager Frühling. Da wurde Alexander Dubček Vorsitzender
der Kommunistischen Partei und wollte einen Sozialismus mit
menschlichem Antlitz, also ohne Zensur, mit Meinungsfreiheit und
kleinen Privatunternehmen. Das kündigte er groß an und alle freuten
sich.
Sie
freuten sich zu früh, denn die Russen kamen mit Panzern angefahren,
besetzten die Tschechoslowakei und stellten den Sozialismus mit
unmenschlichem Antlitz wieder her.
Erst
1989 kam es dann zur Samtenen Revolution. Studenten demonstrierten,
die Demo wurde gewaltsam aufgelöst, deshalb kam es zu noch mehr
Demos und immer so weiter... Dabei klimperten die Leute alle mit
ihren Schlüsseln, als Symbol für... Freiheit oder so.
Die
Samtene Revolution ging relativ gewaltfrei und samtig, was auch daran
lad, dass Gorbatschow in der Sowjetunion feststellte, dass er einfach
kein Geld mehr hatte, um zig europäische Länder zu unterdrücken.
Der
neue tschechoslowakische Präsident wurde Václav Havel.
Die
Tschechoslowakei ließ sich 1992 scheiden, es entstanden die
Tschechische und Slowakische Republik. Vereinbart hatten das die
Ministerpräsidenten der Länder, der tschechische Ministerpräsident
war damals der neoliberale Václav Klaus.
Die
Scheidung war einvernehmlich - zumindest, was die Politiker anging.
Die Bevölkerung war eigentlich eher dagegen.
Nach
einer Volksabstimmung trat Tschechien 2004 der EU bei. Mittlerweile
hat sich das Blatt wieder gewendet: Nachdem die Sozial- und
Christdemokraten durch diverse Skandale ihre Glaubwürdigkeit
verloren, haben die zwei rechten Parteien ANO und SPD während der
Flüchtlingskrise Aufwind bekommen, obwohl (oder gerade weil)
Tschechien eh kaum Migranten aufgenommen hat. Die SPD will sogar den
EU-Austritt.
Auf
jeden Fall wollen beide das Land, das seine undurchdringlichen
Grenzen nach der Wende endlich losgeworden ist, wieder einzäunen.
Früher sollte niemand rauskommen, heute soll niemand reinkommen.
Nationalisten
und Kommunisten werden heutzutage wieder immer mehr gewählt. Ist ja
logisch, Tschechien hat ja in der Vergangenheit schon gute
Erfahrungen mit beiden gemacht.
Vielleicht
lässt sich der Erfolg der Rechten aber auch einfach so erklären:
Nachdem Tschechien im Lauf der Geschichte so oft erobert wurde,
wollen die Tschechen jetzt einfach mal selber was erobern.