"Wenn Sie nicht leben wollen, damit Sie trinken, dann trinken Sie wenigstens ein bisschen, damit ich leben kann!!" |
Mittwoch, 16. Dezember 2020
Die etwas freie Übersetzung eines teschechischen Corona-Songs
Montag, 31. August 2020
Bergtagebuch: Die flotte Koppe
Aufzeichnung einer Expedition auf die Schneekoppe
Es ist ein kühler Sommertag, graue Wolkenbänke und Sonnenstrahlen ringen um die Vorherrschaft am Himmel. Nach langer Fahrt stehen wir verloren an der Bushaltestelle am Rande eines Parkplatzes herum. Gasthäuser in eigentümlicher, kantiger Bauweise umgeben uns. Ihre seltsame Form resultiert sicher aus der Anpassung an die widrigen Bedingungen so hoch oben im Riesengebirge, wo der Winter oft ganze drei Monate dauert und gelegentlich sogar Schnee fällt, der länger als eine Woche liegenbleibt - lebensfeindliche Bedingungen, die sich bei uns daheim in Norddeutschland kaum jemand vorstellen könnte. So kam es, dass wir einen fatalen Fehler begingen, der einem Bergmann eigentlich nicht passieren sollte: Wir haben den Berg überschätzt.
Auch die Skifahrer leben unter härteren Bedingungen als anderswo, müssen sie doch derart schmale Brücken überqueren, um auf die Piste zu gelangen.
Dies also ist Pec pod Sněžkou (dämliche Eindeutschung: Petzer), der letzte Vorposten der Zivilisation (abgesehen von diversen Häusern, Eisständen, Imbissbuden, einem polnischen Gasthaus, einem Souvenirshop und der Seilbahnstation). Denn diese Ansiedlung liegt im Riesengebirge unterhalb der Sněžka (schöne Eindeutschung: Schneekoppe).
Hier beginnt unsere bislang größte Herausforderung (abgesehen von diversen Wanderungen in den Alpen). Wir wollen als erste Menschen (abgesehen von tausenden Touristen jährlich) den höchsten Gipfel der Tschechischen Republik bezwingen - und zwar ohne jegliche technische Hilfsmittel (abgesehen von der Seilbahn auf dem Rückweg und der Kartenapp auf dem Handy). Es ist ein gewagtes Unterfangen, doch gibt es kein Zurück. Der Berg ruft! Er ruft: "Bitte hinten anstellen!"
Denn während wir durch das Tal der Úpa die Ortschaft verlassen, sehen wir an der Talstation der Seilbahn zahllose Menschen anstehen. Entschlossen schreiten wir vorbei, denn als echte Wanderer ist solch ein komfortables Verkehrsmittel natürlich unter unserer Würde (außer auf dem Rückweg).
Das Flüsschen Úpa rauscht nicht nur über kleine Wasserfall-Stufen, sondern bildet auch einen Stausee, an dessen Ufer Kinder durch das Geäst eines Kletterwaldes streifen oder auf einer Sommerrodelbahn heruntersausen. Nur diese harten Bewährungsproben können den Nachwuchs auf das Überleben in dieser rauen Umgebung vorbereiten.
Sonntag, 30. August 2020
Was tun gegen tschechische Mäuse?
Hier also ein Ratgeber, was mit einer tschechischen Maus in einem tschechischen Haus zu tun ist.
A. Die Zugänge blockieren
Wie kommen die Mäuschen überhaupt in die Wohnung rein? Die Frage lässt sich leicht beantworten, wenn an mehreren Stellen offene Röhren in der Wand klaffen und einige davon bereits mit Alufolie verstopft sind. Durch die alten Heizungsrohre kommen die Tierchen problemlos aus dem Keller nach oben. Im Schrank liegt noch eine angebrochene Rolle Alufolie. Die Lösung scheint einfach.
1. Stopfen Sie also die verbliebenen Löcher mit einem dicken Pfropfen aus der verbliebenen Alufolie zu.
2. Lauschen Sie die ganze Nacht, wie eine Maus versucht, den Pfropfen durchzunagen: Krrpkrrpkrrp. Fragen Sie sich, wer zuerst nachgibt: dickes zerknülltes Aluminium oder Mäusezähne? Stopfen Sie besorgt etwas Folie nach.
3. Hören Sie nach mehreren Nächten dennoch auf einmal: Krrpkrrpkrrppop… raschel, raschel. Die Maus hat es geschafft. Verstopfen Sie das Loch mit zunehmender Verzweiflung wieder.
4. Finden Sie erst nach vielen Wochen heraus, wo die meisten Mäuse tatsächlich herkommen: unter dem Klo. Öffnen Sie dazu die Klotür und sehen Sie zufällig eine Maus unter dem Porzellanklosett verschwinden. Entdecken Sie einen winzigen Spalt, durch den selbst der dünne Mäusekörper gerade so passt. Der wäre ihnen ansonsten nie aufgefallen. Verstopfen Sie ihn mit dem letzten Rest an Alufolie, bevor die Rolle leer ist. Hoffentlich gibt es nicht noch mehr solche unsichtbaren Zugänge in der Wohnung.
B. Die Mäuse fangen
Selbst wenn Sie es schaffen, wirklich alle Zugänge zu verschließen, sind ja trotzdem schon Mäuse in Ihrer Wohnung. Und mit den Lebensmitteln, die hier liegen, wird es denen hier drin bis an ihr Lebensende vermutlich besser gehen als draußen. Wie werden Sie die Gäste also los?
Die Tschechen sagen: Hier haste ne Falle, bring sie halt um. Die Deutschen sagen: Das kannst du doch nicht machen, versuch die erst mal auf der Wiese auszusetzen. Die Tschechen sagen: Dann ist die ruckzuck wieder bei dir in der Wohnung.
Ist es albern, sich Vorwürfe für das Töten einer Maus zu machen? Die will Ihnen (anders als die Mücken, die Sie zerklatschen) ja nicht einmal schaden, sondern nur essen und überleben.
Die tschechische Mentalität lässt nicht unbedingt darauf schließen, dass es im Dorf oder in der nächsten Kleinstadt so etwas wie Lebendfallen zu kaufen gibt. Mitten in diesem internationalen ethischen Konflikt ist es an Ihnen, zu improvisieren.
1. Erfinden Sie eine Lebendfalle mit dem, was Ihnen zur Verfügung steht. Alles, was Sie dazu brauchen, ist
- ein Papierkorb mit fest verbundener Klappe
- eine Schnur
- ein Stück knochentrockenes (Das ist wichtig!) Hörnchen
- Sie selbst, im Bett, lauschend
3. Übergeben Sie die Maus an Ihre deutsche Verwandtschaft und schauen Sie zu, wie diese vergeblich versuchen, das Tier im heimischen Terrarium zu integrieren. Diese haben irgendwo gehört, dass es helfen soll, Mäuse mit demselben Duft zu besprühen, damit sie sich gegenseitig akzeptieren. Dies ist allerdings vollkommener Blödsinn. Überlegen Sie, ob es nicht gnädiger gewesen wäre, die Maus in Tschechien sofort zu töten.
4. Verschenken Sie die Maus schließlich zusammen mit der Verwandtschaft heimtückisch auf einem Gewinnspiel während einer Familienfeier. Die Aufgabe ist, sich einen Namen für die Maus auszudenken. Was der Preis ist (die Maus selbst), verraten Sie erst hinterher.
5. Eine andere, ganz simple Lebendfalle ergibt sich, falls eine Maus morgens einfach mal in ihren Rucksack klettert: Reißverschluss zu, fertig. Öffnen Sie den Rucksack draußen in Gegenwart eines streuenden Katers. Dann war ihr Tod zumindest zu etwas gut.
Samstag, 29. August 2020
Tschechische Zimmer
Die typische Endung für ein Zimmer ist -ák. Děcák bedeutet zum Beispiel wörtlich "Kinderák".
Šatna (Ankleidezimmer)
In Deutschland gibt es Ankleidezimmer fast nur bei Reichen, und deren Ankleidezimmer haben nicht viel mit einer tschechischen Šatna zu tun.
Záchod (Toilette)
Die Toilette befindet sich fast immer getrennt vom Rest des Bades in einem winzigen Zimmer, manchmal mit winzigen Waschbecken. Neben diesem Klokabuff liegt das große Bad (koupelna) mit Dusche, Wanne und Zahnbürsten - jedoch ohne WC.
Draußen findet man außerdem häufig die kulna (rostige Scheune) und natürlich den bazén (Pool).
Freitag, 28. August 2020
Flüsse: Morava (March)
Das hier ist der Berg Králický Snežník (unschöne Eindeutschung: Glatzer Schneeberg). Er trägt denselben Namen wie das Gebirger ringsherum: Králický Snežník (leicht veränderte Eindeutschung: Glatzer Schneegebirge). Dieser berühmte Berg liegt am Ende einer Tal-Sackgasse direkt auf der Grenze nach Polen. Er ist, um es in den Worten meiner Schwester zu sagen, ein "Dreipinkelweg". Geographen sprechen lieber von einer Europäischen Hauptwasserscheide. Wer auf dem Gipfel Wasser lässt, hat die Wahl, in welchem Meer das Wasser landen soll. Er muss sich nur in die entsprechende Himmelsrichtung drehen.
Auf der polnischen Seite fließt ein Bach zur Oder und in die Ostsee. Ein weiterer Bach landet über die Orlice/Adler und die Elbe in der Nordsee. Die Namen dieser kleinen Bäche kenne ich nicht. Der dritte Bach aber landet im Schwarzen Meer, und der hat einen bekannten Namen. Er heißt Morava (unnötige Eindeutschung: March) und damit genau so wie das östliche Drittel Tschechiens, dessen Lebensader er darstellt (das heißt eingedeutscht aber Mähren). Deshalb ist die Quelle eingefasst und ausgeschildert. Sie kommt aus Kalksteinhöhlen. Ich wollte da eigentlich gern mal hinwandern, aber leider war es für einen Tagesausflug zu weit und ich habe keine Übernachtungsmöglichkeit gefunden.
Erst nach etwa zehn Kilometern taucht die erste Ortschaft auf. Auch sie wurde nach dem Fluss benannt: Dolní Morava (völlig inkonsequente Eindeutschung: Mohrau). Hier liegt ein großes Skigebiet mit außergewöhnlichem Aussichtsturm, Sommerrodelbahnen, Hängebrücke, Escape-Room-Bergwerk und Riesenspielplätzen. Die Bauarbeiten an diesem Erlebnisareal stören die Idylle in den Bergen allerdings massiv. Hoffentlich sind die bald fertig.
Es handelt sich auch um eine Art Doppelstadt, denn direkt nebenan liegt eine zweite Stadt mit dem extrem sperrigen Namen Staré Město u Uherského Hradiště ("Alte Stadt bei der Ungarischen Festung"). Zwischen den beiden Städten fließt die Morava.
Uherské Hradiště hat mehrere große, belebte Plätze vor einer hübschen Häuserkulisse. Da standen gerade Buden, an denen Weihnachtsmarktleckereien verkauft wurden.
Am Rande der Innenstadt erstreckt sich ein Park mit einem besonderen Eingang. Solch ein kleines Tor habe ich bisher in keiner Stadtmauer gesehen. Größere Menschen sollten sich ducken.
Außerdem gibt es hier die schmalsten Fahrradstreifen der Welt.
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Blick aus der Bahn auf den österreichischen Abschnitt |
Für alle Fälle
Und was haben Tschechisch und Latein gemeinsam? Die Art, wie diese Fälle benutzt werden, jedenfalls ein bisschen.
Der Umgang mit tschechischen Verben ist relativ einfach. Es gibt nur drei richtige Zeitformen (Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit, letzteres eine Mischung aus Präteritum und Perfekt), die Verneinung ist geradezu lächerlich einfach (immer ein ne vornedran hängen, fertig) - ja, das Konjugieren geht echt in Ordnung.
Doch die Grundregel beim Sprachenlernen lautet: Wenn irgendwas einfach ist, muss zum Ausgleich etwas anderes ganz knifflig. Und das wären in Tschechien die Substantive und Adjektive.
Falls Sie einmal Lateinunterricht genommen haben: Es ist so ähnlich, nur schlimmer. Im Lateinischen gibt es 5 Deklinationsklassen, in Tschechien hingegen 12, davon 4 sächliche, 4 weibliche und 6 männliche (2 für lebende Sachen, 2 für unbelebte und 2 Extraklassen für spezielle Endungen). Das Ganze gibt es dann noch in der Einzahl und Mehrzahl, das macht insgesamt 168 verschiedene Endungen, also theoretisch. Natürlich wiederholen sich da viele Endungen und natürlich gibt es da auch bestimmte Muster, zum Beispiel sind wie auf Latein bei sächlichen Worten immer 1. und 4. Fall gleich. Nur gibt es von diesen Mustern immer Ausnahmen, und zwar immer gerade so viele, dass es kaum noch Sinn ergibt, die Muster zu lernen.
Viele Fälle werden eigentlich fast nur mit entsprechenden Präpositionen verwendet, und das ist auch gut so, denn nur so lassen sie sich einigermaßen merken.
Ach ja: Während in Deutschland schon in der Grundschule die Begriffe "Nominativ" oder "Genitiv" fallen, werden die in Tschechien allenfalls von Sprachwissenschaftlern benutzt. Alle anderen sagen nur 1. oder 2. pád (Fall).
1. pád (Nominativ)
kdo/co?=wer/was?
z.B. Petr=Peter (ein männliches, lebendiges Wort)
Das ist noch einfach.
2. pád (Genitiv)
(bez) koho/čeho?=(ohne wen/was?) wessen?
3. pád (Dativ)
pro koho/čeho?=(für wen/was?) wem?
4. pád (Akkusativ)
(vidím) koho/čeho?=(ich sehe) wen/was?
(vidím) Petra=(ich sehe) Peter
5. pád (Vokativ)
Petere!=Peter!
Wenn man jemanden ruft oder anspricht, benutzt man auf Deutsch den 1. Fall. Die Tschechen haben dafür hingegen einen Extrafall - Lateiner kennen ihn: Den Vokativ. Aber während er auf Latein fast immer derselbe ist wie der 1. Fall, ist er in Tschechien fast immer anders. Theoretisch existieren sogar Vokativformen für unbelebte Gegenstände, falls ein Dichter mal metaphorisch einen Berg ansprechen möchte. ("O Berg, wie bist du schön!")
6. pád (Lokal)
u koho/čeho?=bei wem/was?
Damit wären wir jetzt bei den Fällen, die man gar nicht mehr vernünftig erklären kann. Macht auch nix, denn die kommen eigentlich eh nur mit den entsprechenden Präpositionen vor. Den 6. könnte man mit dem Ablativ des Ortes im Lateinischen vergleichen.
7. pád (Instrumental)
Und der 7. ist so was wie der Ablativ des Mittels.
Samstag, 1. August 2020
9 Sehenswürdigkeiten in Tschechien und ihre deutschen Gegenstücke
Jüdischer Friedhof Kolín/Worms
Ein Wirrawarr uralter Grabsteine, die im Nebel wie schiefe Zähne aus dem Boden ragen? Verziert mit geheimnisvollen Schriftzeichen? Das sind der größte (Worms) und zweitgrößte (Kolin) jüdische Friedhof Europas.
Unterschied: In Worms kann man so reingehen, in Kolin muss man erst den Schlüssel abholen. In Worms fährt die Bahn gleich nebenan.
Dolní Vítkovice Ostrava/Landschaftspark Duisburg Nord
Die Hochzeit der Industrialisierung ist längst vorbei, unser Stahl wird in China produziert. Was machen wir also mit den alten Hochöfen? Sowohl die Menschen in Ostrava als auch in Duisburg kamen zu dem Schluss, dass man da irgendwas Spektakuläres draus machen sollte, statt es abzureißen oder verfallen zu lassen. Denn sobald ein paar Jahrzehnte vergangen sind, ist das für die meisten Menschen kein scheußlicher Arbeitsplatz mehr, sondern eine faszinierende Kulisse für Instagram-Fotos.
Unterschiede: In Duisburg ist ein Park drumherum, in einem Bunker laichen Kreuzkröten und es wachsen alpine Pflanzen. In Ostrava beschränkt sich die Pflanzenwelt auf ein paar Grashalme unter sinnlosem Kunstschnee. Das Gasometer ist in Ostrava eine Veranstaltungshalle, in Duisburg ein Tauchbecken. In Duisburg darf man rund um die Uhr einen Hochofen besteigen, in Ostrava nur mit Führung. Dafür hat Duisburg keinen modernen Bolt-Tower mit Cafe auf dem Hochofen drauf. Außerdem muss man sich alles selbst auf langen Hinweistafeln durchlesen, statt dass es ein Führer erklärt. Im Sommer ist in Ostrava eine Fahrt mit der Lore vom Hochofen runter inklusive.
Pferdeschwanz am Vaclavské Náměstí/Weltzeituhr am Alexanderplatz
Wenn man sich auf dem größten Platz der größten Stadt verabredet, benötigt man einen konkreten Treffpunkt. Prager treffen sich "unterm Schwanz" ihres Königs, also von dessen Pferd. Deutsche treffen sich pragmatisch unter einer Uhr. So wissen sie gleich, wie viel Verspätung der andere hatte.
Unterschied: Der Pferdeschwanz zeigt nicht die Uhrzeit in New York an.
Schlosspark Letohrad/Pfalzgarten Goslar
Eine alte Parkanlage, umgeben von bröckeligen Mauern? Das kenne ich doch irgendwoher.
Unterschiede: Der Letohrader Park ist deutlich größer und hat eine Drachengrotte mit Drachen, aus dessen Maul der Fuß einer Prinzessin ragt.
Katakomben Mělník/Oppenheimer Kellerlabyrinth
Wer durch die Straßen einer wunderhübschen bunten Kleinstadt schlendert, weiß zunächst nicht, was sich unter seinen Füßen verbirgt. Erst wenn er sich in der Touristinfo zu einer Führung anmeldet, kann er die enge Treppe nach unten steigen und entdeckt die tiptop restaurierte, saubere Unterwelt: Das geheime Innenleben, Lager und der Rückzugsort einer Handelsstadt, deren Oberfläche vor allem während der Renaissance von Kriegen heimgesucht wurde. Eine nette alte Dame erklärt die Geschichte der Gänge.
Unterschiede: In Deutschland trägt man unter dem Helm ein Hygienehäubchen, derlei ist in Tschechien unbekannt. Das deutsche Labyrinth ist größer, hat aber keinen riesigen Brunnen.
