Freitag, 28. August 2020

Für alle Fälle

Was haben Tschechien und der Fluss Mirna in Kroatien gemeinsam? Sieben Fälle.
Und was haben Tschechisch und Latein gemeinsam? Die Art, wie diese Fälle benutzt werden, jedenfalls ein bisschen.

Der Umgang mit tschechischen Verben ist relativ einfach. Es gibt nur drei richtige Zeitformen (Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit, letzteres eine Mischung aus Präteritum und Perfekt), die Verneinung ist geradezu lächerlich einfach (immer ein ne vornedran hängen, fertig) - ja, das Konjugieren geht echt in Ordnung.

Doch die Grundregel beim Sprachenlernen lautet: Wenn irgendwas einfach ist, muss zum Ausgleich etwas anderes ganz knifflig. Und das wären in Tschechien die Substantive und Adjektive.
Falls Sie einmal Lateinunterricht genommen haben: Es ist so ähnlich, nur schlimmer. Im Lateinischen gibt es 5 Deklinationsklassen, in Tschechien hingegen 12, davon 4 sächliche, 4 weibliche und 6 männliche (2 für lebende Sachen, 2 für unbelebte und 2 Extraklassen für spezielle Endungen). Das Ganze gibt es dann noch in der Einzahl und Mehrzahl, das macht insgesamt 168 verschiedene Endungen, also theoretisch. Natürlich wiederholen sich da viele Endungen und natürlich gibt es da auch bestimmte Muster, zum Beispiel sind wie auf Latein bei sächlichen Worten immer 1. und 4. Fall gleich. Nur gibt es von diesen Mustern immer Ausnahmen, und zwar immer gerade so viele, dass es kaum noch Sinn ergibt, die Muster zu lernen.
Viele Fälle werden eigentlich fast nur mit entsprechenden Präpositionen verwendet, und das ist auch gut so, denn nur so lassen sie sich einigermaßen merken.

Ach ja: Während in Deutschland schon in der Grundschule die Begriffe "Nominativ" oder "Genitiv" fallen, werden die in Tschechien allenfalls von Sprachwissenschaftlern benutzt. Alle anderen sagen nur 1. oder 2. pád (Fall).

1. pád (Nominativ)
kdo/co?=wer/was?

z.B. Petr=Peter (ein männliches, lebendiges Wort)

Das ist noch einfach.

2. pád (Genitiv)
(bez) koho/čeho?=(ohne wen/was?) wessen?

bez Petra=ohne Peter
Petra=Peters

Das ist ungewohnt: Mit dem Wort "ohne" muss man den zweiten Fall benutzten. Es heißt zum Beispiel "Ohne des Briefes hätte ich nicht davon erfahren."

3. pád (Dativ)
pro koho/čeho?=(für wen/was?) wem?

(pro) Petra=(für) Peter

4. pád (Akkusativ)
(vidím) koho/čeho?=(ich sehe) wen/was?

(vidím) Petra=(ich sehe) Peter

5. pád (Vokativ)

Petere!=Peter!

Wenn man jemanden ruft oder anspricht, benutzt man auf Deutsch den 1. Fall. Die Tschechen haben dafür hingegen einen Extrafall - Lateiner kennen ihn: Den Vokativ. Aber während er auf Latein fast immer derselbe ist wie der 1. Fall, ist er in Tschechien fast immer anders. Theoretisch existieren sogar Vokativformen für unbelebte Gegenstände, falls ein Dichter mal metaphorisch einen Berg ansprechen möchte. ("O Berg, wie bist du schön!")

6. pád (Lokal)

koho/čeho?=bei wem/was?

(u) Petra=(bei) Peter

Damit wären wir jetzt bei den Fällen, die man gar nicht mehr vernünftig erklären kann. Macht auch nix, denn die kommen eigentlich eh nur mit den entsprechenden Präpositionen vor. Den 6. könnte man mit dem Ablativ des Ortes im Lateinischen vergleichen.

7. pád (Instrumental)
(s) kým/čím?=mit wem/was?

(s) Petrem=(mit) Peter

Und der 7. ist so was wie der Ablativ des Mittels.

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