Freitag, 1. März 2019

Gastbeitrag einer Austauschschülerin

Es war ein seltsames Gefühl, für ein halbes Austauschjahr in die vertraute Fremde zu gehen. Mittlerweile weiß ich schon nicht mehr genau, wo ich hingehöre. Bin ich ein deutsches Stadtkind? Oder ein tschechisches Dorfmädchen? Ich denke, dass ich beides brauche, um glücklich zu sein. Momentan genieße ich die Möglichkeit, jeden Tag in der Natur zu sein, wunderschöne Sonnenuntergänge und Sternenhimmel zu betrachten, mit Freunden in niedliche Cafés zu gehen, in den Schulpausen abwechselnd selbstgebackenen Kuchen zu probieren und ansonsten ganz einfach auf mich gestellt zu sein. Und das auch in Bezug auf den Kühlschrank, aus dem nicht mehr einfach so mein Lieblingsjoghurt auftaucht. Jetzt muss ich ihn nämlich vorher kaufen.
In der Schule genauso wie im Tanzkurs habe ich viele neue Freunde gefunden, so dass ich gar nicht an den Abschied im Februar denken möchte, wo wiederum meine vermissten deutschen Mädchen warten.

Lustigerweise habe ich mich sofort mit einer kleinen Gruppe charmanter und humorvoller Jungs aus meiner Klasse verstanden. Ich nenne sie charmant, weil sie mir als gut erzogene Tschechen mit ernstem Gesicht in den Mantel helfen wollen oder sozial, wie sie sind, die Türen aufhalten. Wenn ich mich als selbständiges Mädchen dem zu widersetzen versuche, habe ich keine Chance.
Besonders glücklich macht es mich, dass mittlerweile niemand mehr richtig erkennt, dass ich nicht dieselben Erfahrungen mit der Sprache habe wie die anderen. Wenn ich noch ein paar Fehler mache, will ich sie unbedingt verbessert haben. Im Tschechischen gefallen mir die Verniedlichungsformen (Diminutiv) so gut. Jedes Wort erhält nämlich ein „-ček/-čka/-ičky“ angehängt (entspricht „-chen“ oder „-lein“), egal ob die Dinge wirklich niedlich sind. Eine Pfanne kann über drei Kochplatten reichen, sie ist immer noch ein „Pfännchen“-„pánvička“, die großen Jungs tragen beim Tanzkurs weiße „rukavičky“ – Handschuhchen (ungelogen).
Die beinah erste Frage, die mir hier in der Klasse gestellt wurde, war, welche tschechischen Schimpfwörter ich kenne und ob ich ihnen ein paar deutsche beibringen könnte. Jetzt kursiert in der Schule das erfundene Wort „Stranke“, welches ich als schlimmstes deutsches Schimpfwort vermarktete.

Die Mutter dazu:
Sie ruft gern zu Hause an und meldet sich ansonsten, wenn es um den Wunsch nach neuen Kleidern geht. Im Tanzkurs tragen die tschechischen Mädchen nämlich dem Vernehmen nach niemals dasselbe Kleid. Da man sich den Gebräuchen eines Landes anpassen sollte, wird fleißig online bestellt.
„Ach, du denkst nur noch an Kleider!“
„Das stimmt ja nun wirklich nicht! Im Moment denke ich an einen Mantel!“

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